Börse: Frost- versus Rekordernte-Spekulationen


S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 02.05.2013


Für Finanzjongleure wird es ein spannender Tag: Sie wünschen sich viel frisches Geld von den Notenbanken. Die US-FED hat zu diesem Wunsch bereits "Ja" gesagt. Bei der EZB steht heute der Zinsentscheid auf der Agenda. Finanzjongleure wünschen sich zudem einen knapp versorgten Markt: Doch Rohstoffe sind derzeit konjunkturbedingt reichlich verfügbar. Ob das bei Agrarrohstoffen auch so kommt, bleibt angesichts der Witterungsrisiken abzuwarten.

 

Devisen & Konjunktur
Der heutige Tag wird seit Tagen mit Spannung erwartet. Denn heute findet die Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei statt. Seit Tagen gibt es Gerüchte, daß die EZB den Leitzins erneut senken könnte - von 0,75 auf 0,5 Prozent - und damit auf ein neues Rekord-Tief. In der Finanzbranche geht man mehrheitlich davon aus, daß die EZB die Konjunktur mit noch billigerem Geld anzukurbeln will.

Als Hinweis auf eine Zinssenkung wird gewertet, daß der der portugiesische EZB-Vizepräsident Vitor Constancio in der vergangenen Woche vor dem Europäischen Parlament erklärt hatte: "Wir sind bereit zu handeln, wenn die Wirtschaftsdaten schlecht sind, was leider der Fall war." Bereits am 4. April hatte Mario Draghi, der Chef der EZB, erklärt, er sei zu einem Eingriff bereit, sollte sich der konjunkturelle Ausblick in Europa verschlechtern.

Die EZB-Entscheidung wird heute für 13:45 Uhr erwartet. Eine dreiviertel Stunde findet eine Pressekonferenz statt. Sollten sich die Gerüchte bestätigen und die EZB tatsächlich den Leitzins senken, hätte dies gravierende Folgen: 1) Die beispiellos lockeren Finanzierungsbedingungen in etlichen Euro-Ländern werden weiter erleichtert. 2) Die Inflationsrate wird dann noch stärker über dem Sparzins klettern.

Die US-Notenbank Federal Reserve (FED) hatte bereits am Mittwoch die US-Leitzinsen unverändert bei 0 bis 0,25 Prozent belassen. Damit wird die ultra-lockere Geldpolitik in den USA fortgesetzt. Auch die Bonds-Anleihekäufe in den USA gehen unverändert weiter. Die FED kauft Monat für Monat für 85 Milliarden US-Dollar Staats- und Immobilienpapiere aus dem Markt.

Der Euro-Referenzkurs wurde von der Europäischen Zentralbank (EZB) am Dienstag mit 1,3072 US-Dollar etwas niedriger als am Vortag festgesetzt. Nach dem FED-Zinsentscheid ging es beim Dollar bergab und der Euro notierte zuletzt im späten US-Geschäft mit 1,3180 Dollar. Heute im frühen Handel - und wenige Stunden vor der EZB-Zinsentscheidung - gibt der Euro wieder leicht nach.

 

Energie
Weiterhin bestimmen die schwachen Konjunkturdaten und die üppigen Lagervorräte den Ölpreis. Am Mittwoch setzten die Kurse an den Ölbörsen ihren Rückwärtstrend fort. Der stetige Ausbau der Ölförderung in den USA und Konjunkturdaten aus den USA und China, die als zu niedrig gewertet werden, machen die Investoren vorsichtig.

Ein Barrel (1 Faß = 159 Liter) der US-amerikanischen Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) zur Auslieferung im Juni wurde mit 91,03 Dollar niedriger als am Vortag gehandelt. Nordsee-Rohöl der Sorte Brent zur Juni-Fälligkeit gab gestern zum Handelsschluß um -2,42 Dollar auf 99,95 Dollar nach. Heute im frühen Handel bleibt der Ölpreis an den Börsen unter Druck.

 

Agrarrohstoffe
Auch in den letzten zwei Tagen konnten sich Agrarrohstoffe dem Abwärtssog am Rohstoffmarkt nicht vollständig entziehen. Die Frühindikatoren am Rohstoffmarkt sprechen eine deutliche Sprache: Die aktuellen Konjunkturzahlen, insbesondere der Schwellenländer, belasten derzeit das globale Nachfragewachstum und verursachen dadurch Preisdruck.

Was dabei unter "zu schwachen" Wachstumsraten zu verstehen ist, das definieren derzeit die Finanzjongleure. Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr immerhin ein Welt-Wirtschaftswachstum von 3,3 % und damit sogar eine leichte Konjunkturerholung. Doch das ist der Finanzindustrie offenbar nicht genug und damit geraten Rohstoffe auf die abschüssige Bahn.

Die Kurse an den Agrarrohstoff-Börsen schwanken derzeit im Wetter-Takt. Und dabei stehen vor allem die Ernteaussichten in den USA im Vordergrund. Denn weder die Aussaat des Mais noch des sonstigen Sommergetreides kommt in den USA richtig voran. Frost, kalte Böden, Nässe, Trockenheit - die US-Farmer konnten erst 5 % der gesamten Maisflächen aussäen. Dies entspricht dem niedrigsten Stand seit 1993. Auch der Entwicklungsstand der Wintergetreide-Bestände läßt zu wünschen übrig. Bis zum Ende der letzten Woche hat sich der Zustand der US-Winterweizenbestände sogar noch leicht verschlechtert. Nut noch 33 % der Feldbestände wurden mit "gut" bzw. "sehr gut" bonitiert. In der vorherigen Woche waren es immerhin noch 35 %, während ein Jahr zuvor 64 % der Felder diese Bewertung erreichten. Dagegen werden jetzt 35 % der Weizenbestände mit "sehr schlecht" und "schlecht" eingestuft, 2 % mehr als zuvor.

Deutlich besser präsentieren sich dagegen die Ernteerwartungen in Osteuropa. Während das Landwirtschaftsministerium in Moskau noch vorsichtig mit 90 bis 95 Mio.t Getreide kalkuliert, erklären private Analysten auch bereits Erntemengen von knapp unter oder sogar über der 100 Mio.t-Marke für möglich, - sofern sich das Anbauwetter gut entwickelt. Dann dürften die Exporteure nicht nur mit osteuropäischem Weizen wieder preisaggressiv am Markt sein.

Die europäischen Agrarrohstoff-Börsen schlossen am Dienstag im späteren Handelsverlauf gemischt. In Paris standen bei Weizen der Mai-Termin im Vergleich zum Vortag mit +4,00 Euro/t und der November-Termin mit +1,25 Euro/t im Plus. Auch Körnermais legte zu. Der Juni-Termin wurde zum Handelsschluß mit +0,50 Euro/t festgesetzt, der November-Termin notierte +0,75 Euro/t zum Vortag. Bei Braugerste ging der Mai-Termin mit -1,50 Euro/t aus dem Handel, der November-Termin wurde unverändert notiert. Mit deutlichen Kursverlusten wurde der Schlußkurs bei Rapssaat notiert: Der Mai-Termin schloß mit -2,00 Euro/t, der August-Termin stand mit -1,00 Euro/t im Minus.
Der Soja-Komplex an den US-Börsen notierte gestern (Mittwoch) an den US-Börsen mit Kursverlusten.

 

Ausblick
Der Agrarrohstoffmarkt schwankt im Takt der Wettermeldungen: 'Mal lassen beispielsweise Frost-Vorhersagen für die "Südlichen Ebenen" in den USA die Kurse steigen, dann wieder sorgen Rekordernte-Meldungen zum Beispiel für Rußland für Kursverluste an den Börsen.

Für den heutigen Handelstag erwarte ich persönlich, daß sich die Ölkurse leicht erholen, der Euro bis zur EZB-Entscheidung schwächer gehandelt wird und die Kurse an den Agrarrohstoff-Börsen diesseits wie auch jenseits des Atlantiks nach den Verlusten des Vortages im grünen Bereich liegen.

Hinsichtlich der Entwicklung der Lage am Kassamarkt bleibe ich bei meiner Einschätzung vom 16.04.2013: Anders als an den Börsen entwickelt sich derzeit noch die Lage für prompte Ware am Kassamarkt. Das Angebot fällt derzeit so klein aus, daß Käufer immer wieder Prämien "über Matif" gewähren müssen, um Ware aus den Lägern zu locken. Mit dem Frühlingsstart und dem Beginn Feldarbeiten steht derzeit nicht die Vermarktung der Lagerware an erster Stelle. Für die stark geschrumpften Restbestände in Erzeugerhand müssen Mühlen und Mischfutterwerke wieder tiefer in die Tasche greifen. Der stetige Zukaufbedarf des Exporthandels verschärft die knappe Marktversorgung, - auch wenn die Preisrücknahmen im internationalen Handel das Geschäft mit EU-Ware inzwischen erschwert. Bei Termingeschäften ex-Ernte oder später verstärkt sich dagegen der bereits seit Monaten spürbare Preisdruck.

 
 
 


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