Weizen: Knapper - aber nicht knapp

S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 27.08.2010


Das ist das Déjà-vu: Die Weizenpreise werden wieder einmal von den Rohstoffspekulanten bestimmt, die von den aktuell hohen Renditeerwartungen an den Agrarohstoffmärkten profitieren wollen. Und das ist neu: Die Hausse-Welle rollt, obwohl die Statistiken umfangreiche Lagerbestände ausweisen. Wann wird die Blase platzen?

Marktlage
Spekulation steht wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Spekulation in der Kapitalbranche, Spekulation auf Handelsebene, Spekulation bei den Produzenten. Nicht nur Ernteausfälle und abfallende Qualitäten, sondern auch Verkaufsverzögerungen halten den Markt knapp und lassen die Kurse weiter steigen. Hinzu kommt die starke Nachfrage der Importländer, die weiteren Preissteigerungen durch schnelle Zukäufe zuvor kommen wollen.

An den Warenterminmärkten läßt es die Marktbeteiligten kalt, daß die Ukraine ihre Entscheidung über eventuelle Exportquoten zunächst einmal auf später vertagt hat. Es läßt sie auch kalt, daß bei Weizen rund ein Viertel des internationalen Jahresbedarfs in den Lagerhäusern rund um den Globus lagert. Sie gehen davon aus, daß Agrarrohstoffe im Vergleich zu anderen Rohstoffen Nachholpotenzial haben und spekulieren daher weiter auf die Zukunft.

Heute nachmittag wird der November-Termin an der europäischen Warenterminbörse Euronext, Paris bereits mit 216,00 Euro/t gehandelt und damit auf dem höchsten Stand seit Mai 2008. Allein seit Anfang Mai ist der Kurs um unglaubliche 65 % gestiegen.

Staunend verfolgte der Kassamarkt wochenlang, war an den Warenterminbörsen abläuft. Die Weizenpreise an den Realmärkten zogen daher zonächst zögerlich an. Doch inzwischen sind auch die Kassamärkte in stürmisches Fahrwasser eingetaucht. Die Preise zogen in den letzten Wochen zunächst in kleinen Schritten, dann immer stärker an. Ein neuer Trend kristallisierte sich dann seit der letzten Woche heraus: Bei guten Backqualitäten ziehen die Kurse weiter an, während Futterweizen bestenfalls auf der Stelle tritt, in der Regel jedoch zu deutlich schwächeren Preisen gehandelt wird.

Denn während Backqualitäten rar und gesucht sind, stehen Futterqualitäten überreichlich zur Verfügung. Die Futtermittelhersteller, die noch vor und zu Beginn der Ernte bereit waren, mit attraktiven Preisaufschlägen, Ware zu mobilisieren, haben sich jetzt vom Markt zurückgezogen. Man geht davon aus, daß die Preise in Kürze stärker unter Druck geraten werden und der Zukauf dann preisgünstiger wird.

Mit was haben wir es also zu tun? Blasenbildung oder noch unausgeschöpftes Hausse-Potential? Beschäftigen wir uns daher mit den fundamentalen Daten.

 

Fakten

  • Welt: Defiziternte und schrumpfende Lagerbestände

    Die erheblichen Ernteeinbußen 2010/11 werden in immer mehr internationalen Statistiken und Ernteprognosen berücksichtigt. Am 26.08.2010 hat auch der Internationale Getreiderat seine Produktionsprognose erneut um 7 Mio.t nach unten korrigiert.

    Mit nur noch 644 Mio.t liegt nach diesen Zahlen die diesjährige Welt-Weizen-Ernte deutlich unter dem Niveau der beiden Vorjahre. Mit nur noch 44 Mio.t wird die russische Weizenernte rund 30 % niedriger als im Vorjahr prognostiziert. Andere Analysten gehen inzwischen von einen noch niedrigeren Ernte aus.

    Da der erwartete Verbrauch mit 657 Mio.t auch in diesem Wirtschaftsjahr weiter steigt, fällt die Ernte erstmals seit 2007/08 wieder defizitär aus.

    Daher sinken die Endbestände, die nach zwei Rekordernten Rekordhöhe erreichten, wieder um rund 5 %. Besonders bedeutsam ist, daß die Endbestände der Hauptexporteure (Argentinien, Australien, EU, Kanada, Kasachstan, Rußland, Ukraine, USA) um 21 % schrumpfen.

    Viele Importeure sind derzeit am Weltmarkt auf Einkauftour - auch in der EU. Die flotte internationale Nachfrage dürfte dafür sorgen, daß der Angebotsdruck in den großen Produktions- und Export-Ländern erheblich zurückgeht.

    Hausse-Tendenz

 

  • Ernte 2010: Absackende Qualitäten
    Zum Teil kräftige Niederschläge haben die Ernte inzwischen ins Stocken gebracht. Während die Produzenten auf die Rückkehr des Erntewetters warten, sind die Qualitäten der meisten Bestände bereits auf Futterweizenniveau abgesackt. Nicht nur der Pilzbefall (Mykotoxine), sondern auch offener und versteckter Auswuchs wird zunehmend zum Problem.

    Vergessen Sie nicht: Futterweizen ist nicht gleich Futterweizen. Auch bei Futterweizen gibt es Qualitäts- und damit Preisunterschiede.

    stabile Tendenz bei einwandfreien Qualitäten

 

  • Ernteerwartungen 2011 übernehmen die Preissteuerung
    Anfang Juli startete die Ernte in Deutschland sehr frühzeitig. Doch die Ernte ist noch immer abgeschlossen. Vor allem in Süd-, Nord- und Ostdeutschland stehen noch größere Bestände, so daß die Flächen noch nicht komplett geräumt sind. Zudem verzögern die anhaltenden Niederschläge die Aussaat zusätzlich.

    Auch in anderen wichtigen Anbauregionen bestehen erhebliche Aussaatprobleme. Zwar hat es in Zentralrußland seit der letzten Woche immer wieder geregnet. Doch die Niederschlagsmengen haben einerseits noch nicht alle wichtigen Anbauregionen erreicht und fielen zudem bisher viel zu gering aus. Da sich das Zeitfenster für die Aussaat von Woche zu Woche weiter schließt, bleibt abzuwarten, inwieweit eine Herbstbestellung termingerecht erfolgen kann. Ansonsten muß für die Ernte 2011 mit Ertragsdefiziten und einem höheren Anteil ertragsschwächerer Sommerkulturen kalkuliert werden. Allerdings werden für das Wochenende größere Regenmengen prognostiziert, so daß die Bodenfeuchte davon deutlicher profitieren könnte.

    Während in China Stürme und starke Niederschläge die Bestände beeinträchtigen, ist es in wichtigen Weizenanbaugebieten in Argentinien erneut deutlich zu trocken. Wetterprognosen kündigen ab Mitte nächster Woche allerdings Regen an.

    Hausse-Tendenz

 

Prognose
Spekulation führt an den Märkten regelmäßig zu Übertreibungen. Das bedeutet auch für den Agrarrohstoffmarkt, daß die Preise zeitweilig unter- oder überbewertet sind. Automatisierte Handelssysteme verstärken die jeweiligen Trends zusätzlich.

Doch letztendlich werden es immer die fundamentalen Rahmendaten sein, die die Preisentwicklung vorgeben. Für den Weizenmarkt bedeutet das, daß die fundamentalen Eckdaten von defizitärer Produktion, äußerst heterogenen Erntequalitäten und noch immer hohen Lagerbeständen nach meiner persönlichen Einschätzung den Markt von Back- und Futterqualitäten spalten wird.

Für Backqualitäten erwarte ich durchaus noch einen preislichen Spielraum nach oben. Das hohe Angebot an Futterqualitäten hat inzwischen jedoch dazu geführt, daß sich die Verarbeiter vom Markt zurückgezogen haben - man spekuliert auf weitere Preisrücknahmen und konnte diese zum Teil sogar durchsetzten.

Ich persönlich erwarte, daß neuerntiger Backweizen an unserem heimischen Markt seinen Hausse-Trend kurzzeitig noch fortsetzen kann. Auch bei einwandfreien Futterweizen gehe ich von stabilen Preisen aus. Dagegen werden mangelhafte Qualitäten mit kräftigen Kursabschlägen bestraft werden.

 
 
 
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