Brotgetreide: Der helle Wahnsinn ...

S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 09.08.2007


... herrscht derzeit an den EU-Getreidemärkten. Die Preise scheinen nur eine Richtung zu kennen: Nach oben! Auch am heutigen Handelstag zogen die Kurse weiter an - denn Ware wird händeringend gesucht.

Marktlage
Wieder Regen - und die Mähdrescher stehen erneut still. Eine Ernte mit ständigen Ernteunterbrechungen fordert in diesem Jahr in besonderer Form Mensch, Maschine und Logistik. Die Erntemengen entsprechen nach den Ernteprognosen des Frühjahres in keiner Weise den Erwartungen. Zwar wird regional von besten Erträgen berichtet, doch viele Landwirte beklagen Ertragseinbußen von 10-15 % - teilweise sogar von bis zu 25 %. Und derart heterogen sieht es auch bei den Qualitäten aus: Während in der einen Region Getreide bester Qualität in's Lager gebracht wird, können andere Erntepartien die Standardwerte bei Protein, Fallzahl oder Sortierung nicht erfüllen.

Die knappe Ernte 2007 sorgt nicht nur dafür, daß gute Qualitäten teuer bezahlt werden müssen, auch Partien mit "Schönheitsfehlern" erzielen stattliche Preise. Auch am Getreidemarkt gelten zwischenzeitlich Tagespreise - manchmal ändern sich die Kurse innerhalb von Stunden. Innerhalb von einer Woche zogen die Kurse um mehr als 10 Euro/t an.

In Hessen erzielt A-Weizen Tagespreise von 200-210 Euro/t netto ab Hof zur prompten Lieferung. B-Weizen wird mit 195-200 Euro/t gehandelt. Brotroggen wird mit 185-200 Euro/t bezahlt. Oftmals halten die Verkäufer in der Erwartung weiterer Preisanstiege die Ware zurück, so daß die Umsätze derzeit saisonuntypisch klein ausfallen. Die Preise der verschiedenen Brotgetreide nähern sich immer mehr an.

 

Fakten

  • Welt: Steigender Verbrauch - schrumpfende Endbestände
    Die weltweite Weizenerzeugung wird für die kommende Saison 2007/08 inzwischen niedriger eingeschätzt als zunächst erwartet. Der Internationale Getreiderat hat in seiner Prognose vom 26.07.2007 seine niedrigen Ernteerwartungen bekräftigt und damit seine Erwartung sinkender Endbestände. Auch die Lagervorräte der Hauptexporteure schrumpfen weiter.

    in Mio. t
    Produktion
    Verbrauch
    Endbestände
    Welt
    Welt
    Welt
    Haupt- exporteure
    2002/03
    566
    601
    165
    44
    2003/04
    556
    595
    128
    41
    2004/05
    628
    617
    140
    55
    2005/06
    620
    624
    136
    56
    2006/07
    591
    619
    116
    36
    2007/08 Prognose vom:
    24.05.2007
    621
    624
    115
    34
    28.06.2007
    614
    619
    111
    31
    26.07.2007
    614
    617
    112
    30
    Hauptexporteure: Argentinien, Australien, EU, Kanada, USA
    Quelle: IGC

    Der weltweite Verbrauch von Getreide fällt damit bereits im dritten Jahr in Folge größer als die Produktion aus. Da die globale Versorgungsbilanz 2007/08 erneut defizitär ausfällt, ziehen auch die Weltmarktpreise weiter an.

    Derzeit gibt die Hausse an den west- und mitteleuropäischen Märkten den Preistrend vor.

    Hausse-Tendenz

 

  • EU: Ernteerwartungen schrumpfen
    Ursprünglich erwartete die EU für 2007 eine Getreideernte in Höhe von rund 280 Mio.t. Doch die Trockenheit in Südeuropa, die Überschwemmungen in England und Regenwetter während der Erntezeit in Nordeuropa haben die Ernteerwartungen zwischenzeitlich auf 276 Mio.t sinken lassen. Damit würden die EU-Landwirte zwar immer 9,2 Mio.t beziehungsweise 4,9 % mehr Getreide einfahren als 2006. Dies geht aus der jährlichen Vorausschätzung der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission vom 24.07.2007 hervor.

    Inzwischen erwarten Analysten sogar einen Rückgang der EU-Getreideernte auf nur noch 250 Mio.t. Von Rekordernten vergangener Jahre ist die die Produktion 2007/08 somit weit entfernt. Die Produktion liegt 1,6 % unter dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre.

    EU-27: Getreideernte 2007/08
    Prognose für
    in Mio.t
    gegenüber
    Vorjahr
    gegenüber
    5-Jahres-Ø
    Weichweizen
    123,2        
    +4,9 %
    +1,8 %
    Gerste
    59,8        
    +6,8 %
    +3,5 %
    Körnermais
    55,0        
    -1,4 %
    -8,9 %
    anderes Getreide
    29,8        

    +4,0 %

    -8,0 %
    Getreide insgesamt
    276,0        
    +4,9 %
    -1,6 %
    Quelle: EU-Kommission

    Besonders starke Einbrüche im Vergleich zur durchschnittlichen Getreideerzeugung der letzten fünf Jahren hatten Bulgarien, Ungarn, Rumänien, die Slowakische Republik und die Tschechische Republik zu verzeichnen.

    Hausse-Tendenz

 

  • Ebbe In den Interventionslägern
    Nachdem auch die Interventionsbestände in der EU im abgelaufenen Wirtschaftsjahr von 14 Mio.t auf nur noch 2,4 Mio.t geschrumpft sind, hat sich das Angebot für den Markt zusätzlich verringert. Anderes als im vergangenen Jahr stehen damit keine Lagervorräte zur Verfügung, um Versorgungsengpässe zu überbrücken.

    In vergangenen Jahren wirkten die Interventionsvorräte regulierend auf die Preisentwicklung - heute reagieren die Märkte auf die erwartete oder reale Versorgungsbilanz mit zum Teil heftigen Preisausschlägen. Die defizitäre Versorgungslage in diesem Jahr führt derzeit zu rasanten Preisanstiegen.

    Hausse-Tendenz

 

  • Süd-Ost-Europa: Trockenheit - Hitze - Ernteeinbußen:
    Trockenheit und zum Teil extreme Hitze haben zu enormen Ernteausfällen in vielen Ländern Süd-Osteuropas geführt. Lediglich Kasachstan dürfte eine Ernte einbringen, die auch noch Mengen für den Export übrig läßt. Viele andere Länder sind dagegen auf Importe angewiesen, um ihren Bedarf zu decken.

    Die Getreidepreise haben in diesen Regionen ein ungekanntes Niveau erreicht. In Moldawien fällt es den staatlichen Interventionsstellen schwer, für Weizenpreise von 180-190 Euro/t verkaufswillige Landwirte zu finden. In Rußland werden - trotz Getreidevorräten aus dem Vorjahr in Höhe von 10,4 Mio.t - Warnungen vor einem Anstieg der Getreidepreise laut, da mit einem Rückgang der Getreideernte um 2 Mio.t auf 76 Mio.t gerechnet wird.

    Hausse-Tendenz

 

Prognose
Die Ernteschätzungen für die EU werden immer noch weiter nach unten korrigiert. Daher beobachtet man derzeit weltweit den europäischen Markt mit großer Aufmerksamkeit, da hier die Preistrends vorgegeben werden. Die ist eine für den Weltmarkt höchst ungewönliche Situation.

Die Interventionsläger in Deutschland sind geräumt und EU-weit werden derzeit die Restbestände meistbietend angeboten. Damit fällt in diesem Jahr erstmalig die Markt- und Preisstabilisierung über staatliche Lagerbestände weg. Auch die privaten Vorräte sind weitgehend verkauft. Da die Verkäufer in der Erwartung weiterer Preisteigerungen nur sehr zurückhaltend verkaufen, wird Getreide von Händlern, Verarbeitern und Exporteuren händeringend gesucht.

Nach meiner persönlichen Einschätzung dürften die Kurse in den nächsten Tagen weitere leichte Preisanstiege verbuchen. Doch sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß die derzeitige Hausse-Phase durch das äußerst geringe Angebot zusätzlich getrieben wird. Das aktuelle Preisniveau stößt auf einen wachsenden Widerstand der Käufer, so daß sich nach meiner Ansicht die Preiskurve in Kürze abflachen dürfte.

Mit einem größeren Angebot rechne ich, sobald zunehmend liquide Mittel für die kommende Aussaat, Pachtzahlungen, Versicherungen usw. benötigt werden. Dann sind auch leichte Preiskorrekturen nach unten vorstellbar. Echte Preiseinbrüche erwarte ich in den kommenden Wochen jedoch nicht, da die Marktversorgung eng bleiben wird.

Die weitere Kursentwicklung wird vor allem von den Anbau- und Ernteaussichten auf der Südhalbkugel abhängen. Die Preisentwicklung in der EU wird - auch infolge des Abbaus des Außenschutzes - weitgehend von der Versorgungsbilanz des Weltmarktes abhängen.

 
 
 
Vorhergehende Beiträge
12.06.2007 Getreide: Preissprung nach US-Prognose
11.06.2007 Weizen: Im Defizit
21.05.2007 Weizen: Knappe Versorgung - hohe Preise
23.04.2007 Weizen/Feldfrüchte: Warten auf Regen
04.04.2007 Weizen: Spielverderber Mais
08.03.2007 Weizen: Preispoker
13.10.2006 Weizen: Super-Hausse
27.09.2006 Weizen: Angebots-Knappheit
19.09.2006 Weizen: Ausreichendes Angebot - streuende Qualitäten
27.07.2006 Weizen: Preisexplosion !
   
 
 
 
 

Seitenanfang