Weizen: "Knappheits-Thesen" sorgen für Preisauftrieb


S. Linker sabine.linker@llh.hessen.de Stand: 06.11.2012


Die Anspannung am Weizenmarkt wächst. Die globale Versorgungsbilanz ist eng - und sie könnte noch sehr viel enger werden. An der Börse in Paris hat Weizen die 270 Euro-Marke durchbrochen. Und auch am Kassamarkt zeigt der Preistrend weiter nach oben.

 

Marktlage
Immer größer werden die Bedenken, wie sich die weltweite Versorgungssituation bei Weizen entwickeln wird. Nicht nur in wichtigen Anbauregionen auf der Nordhalbkugel ist die Ernte deutlich kleiner ausgefallen als ursprünglich erwartet.

Jetzt lassen die fundamentalen Daten für die kommenden Monate ein weitere Verengung der globalen Versorgungslage erwarten. Auf der Südhalbkugel - insbesondere in Australien und Argentinien - werden die Ernteerwartung immer weiter nach unten revidiert. Auf der Nordhalbkugel entwickeln sich die Anbaubedingungen für die noch nicht ganz abgeschlossene Winterweizen-Aussaat in mehreren Regionen alles andere als günstig.

Kein Wunder, daß sich der feste Preistrend fortsetzt. Nicht nur das knappe internationale Angebot und die lebhafte Exportnachfrage beflügeln den Markt. Auch die noch immer viel zu trockenen Anbaubedingungen in den südlichen Anbauregionen der USA schafften Unsicherheit über die Ernteerwartungen für die nächste Ernte auf der Nordhalbkugel. Damit wird Weizen zum dritten Mal seit 2007 zu Rekord-Preisen gehandelt.


An den Agrarrohstoffbörsen diesseits und jenseits des Atlantiks setzt sich daher der feste Preistrend fort. An der Warenterminbörse Euronext-Paris strebt auch der Januar-Weizenkontrakt mit großen Schritten auf die Marke von 270 Euro/t zu und es zeichnet sich ab, daß dieser Chart-technische Widerstand heute möglicherweise sogar durchbrochen wird. Damit deutet sich an, daß der Preistrend angesichts der Nachrichtenlage zunächst weiter nach oben zeigt. Seit Anfang Oktober hat sich Weizen in Paris um 5 % verteuert.


Auch am Kassamarkt haben sich Futter- und Backweizen weiter verteuert, zumal auch die Nachfrage der Mühlen, der Futtermittelindustrie und der Exportunternehmen wieder angesprungen ist. Die Produzenten sind derzeit nur zu Teilverkäufen bereit und spekulieren auf weitere Preisanstiege. Das Angebot fällt vergleichsweise gering aus, zumal ein großer Teil der Ernte bereits während der Erntezeit oder kurz danach verkauft wurde.

In den letzten Wochen konnten die Erzeugerpreise mit dem Preisauftrieb an den Börsen nicht Schritt halten. Der Preisabstand zwischen den Börsennotierungen und den Erzeugerpreisen (Pfeil Nr.2) hat sich auf rund 30 Euro/t vergrößert.

Am Kassamarkt besteht also ganz klar noch "Nachholbedarf". Viele Produzenten verschieben daher geplante Verkäufe eingelagerter 2012er Ware weiter nach hinten. Die Einkaufspreise des Agrarhandels oder der Verarbeiter spiegeln aus Sicht der Landwirte nicht den Preisanstieg am Getreidemarkt wider.

Dagegen gewinnt der Verkauf ex-Ernte-2013 allmählich immer mehr Attraktivität. Der Kursabstand zwischen den Terminen "November 2012" und "November 2013" (Pfeil Nr.1) hat sich inzwischen auf rund 27 Euro/t verengt.

 

Fakten

  • Welt: Angebot-Nachfrage-Verhältnis nähert sich kritischem Level
    Die weltweite Getreideernte 2012/13 wird noch kleiner ausfallen, als bisher erwartet. Nach Einschätzung des Internationalen Getreiderates vom 25.10.2012 liegt das Produktionsdefizit inzwischen bei 24 Mio.t. Bei einem erwarteten globalen Verbrauch von 655 Mio.t Weizen verfehlt die Produktion damit um rund 3,5 % den Bedarf.

    Die weltweiten Lagerbestände sinken daher auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2008/09. Damit sinkt auch das Angebot-Nachfrage-Verhältnis ("stocks-to-use-ratio") auf einen Wert von 25,4 % und damit den niedrigsten Stand seit 5 Jahren. Dieses Verhältnis beschreibt, für wie viele Tage das Angebot ausreichend ist.

    Ein Wert von 25,4 % bedeutet, daß - aufgrund der komfortablen globalen Lagerbestände aus den vorangegangenen Ernten  - die weltweiten Vorräte für 93 Tage ausreichen. Der kritische Level bei Weizen liegt unter Berücksichtigung historischer Daten bei 20 %.


    Aktuell nähert sich die Situation damit immer mehr dem extrem engen Verhältnis von 2007/08. Derzeit kann der globale Bedarf nur durch die Lagerbestände aus vorangegangenen Ernten gedeckt werden.

     Hausse-Tendenz

 

  • EU: Kleinere Ernte - flotter Export
    Eine um rund 4,4 % kleinere EU-Weizenernte (131,4 Mio.t, Vorjahr: 137,4 Mio.t) und ein flottes Exportgeschäft untermauern auch in der EU den Preisauftrieb. Der schwindende Wettbewerbsdruck aus der Schwarzmeerregion läßt auch die Exporte aus Deutschland deutlich flotter laufen. Auch England entwickelt sich zu einem wichtigen Kunden auch für prompte Lieferungen.

    Für Preisauftrieb sorgt, daß auch in Frankreich das Angebot kleiner ausfällt und der Export die Weizenbestände schneller als erwartet schrumpfen läßt. Das französische Agraramt "AgriMer" prognostiziert für 2012 Weizenexporte in Höhe von 9,5 Mio.t, nachdem Frankreich im letzten Jahr 8,4 Mio.t Weizen in Drittländer exportiert hatte. Bis zur letzten Woche summierten sich die die EU-Exportlizenzen für Weichweizen auf über 5,3 Mio.t. In Deutschland wurden bisher Exportlizenzen für knapp 1,4 Mio.t Weizen gezogen.

    Siehe auch Beitrag "Getreide: Weiter auf Defizitkurs" vom 16.10.2012.

     Hausse-Tendenz

 

  • Australien: Dürrebedingte Ernteeinbußen
    In Australien hat die Weizenernte begonnen. Die ersten Weizendrusche weisen nicht nur niedrigere Erträge, sondern auch schwächere Proteinwerte auf. Neue Schätzungen gehen von einer Ernte von maximal 21 Mio.t aus. Der September-Bericht des australischen Landwirtschaftsministeriums prognostiziert noch eine Weizenernte von 22,5 Mio.t. Neuere offizielle Zahlen liegen derzeit nicht vor.

    Nach der Rekordernte im Vorjahr (29,5 Mio.t) wäre das ein Produktionsrückgang von mindestens 29 %. Eine kleinere Ernte würde zwar das Exportpotential reduzieren, doch die australischen Exporteure können auf umfangreiche Lagervorräte aus der letzten Rekordernte zurückgreifen. Dennoch ist mit rückläufigen Exporten zu rechnen, da die Käufer angesichts der hohen Preise und der schwächeren Qualitäten auf andere Herkünfte ausweichen.

     Hausse-Tendenz

 

  • Argentinien: Ernteaussichten schrumpfen
    Auch in Argentinien hat die Weizenernte begonnen. Doch auch für die Nr.6 unter den Exporteuren trüben sich die Ernteaussichten immer weiter ein. Die anhaltenden Regenfälle bereiten nicht nur hinsichtlich der Erntemenge, sondern auch der Erntequalität zunehmend Sorgen. Die Getreidebörse in Buenos Aires schätzt, daß die argentinische Weizenernte mit 10 Mio.t deutlich kleiner als zunächst erwartet ausfallen könnte. Nach der Vorjahresernte von 15,5 Mio. t Weizen, wäre dies ein Produktionsrückgang von 35 %.

     Hausse-Tendenz

 

  • USA: Miserabler Entwicklungsstand der Neuaussaaten
    Auch die Erwartungen für die Weizenernte 2013 in den USA entfalten eine immer stärkere preistreibende Wirkung. Bonitiert wurde Ende letzter Woche der schlechteste Zustand des US-Winterweizens seit 20 Jahren.

    Zwar war die Aussaat auf 92 % der Winterweizenflächen abgeschlossen und 73 % der Aussaatflächen aufgelaufen, doch die Weizenbestände wurden so schlecht wie nie zuvor seit dem Beginn der Bonitierungen bewertet. Lediglich 39 % der Bestände wurden Ende letzter Woche mit gut bis sehr gut bewertet, in der Vorwoche waren es noch 40 % und vor einem Jahr 49 %. Dagegen stieg der Anteil der Pflanzen in schlechtem bis sehr schlechtem Zustand von 15 % auf 19 %, ein Jahr zuvor waren es nur 15 %.

    Siehe auch Beitrag "Ernte 2013: Ausweitung der Weizenanbaufläche" vom 15.10.2012.

     Hausse-Tendenz

 

  • Osteuropa: Inflation und rückläufige Exporte
    Die Wetterämter in Rußland und der Ukraine schätzen, daß rund 25 % der Wintergetreideflächen infolge des nach wie vor herrschenden Bodenfechte-Defizits auswinterungsgefährdet sind.

    Die Ukraine sorgt derzeit beinahe täglich für neue Meldungen: Mal heißt es, der Exportstop sei ab 15. November geplant, mal erklärt die Regierung, auf Exportrestriktionen vorerst verzichten zu können, dann wieder mutmaßen Regierungsmitglieder in Kiew, auch Rußland werde um einen Exportstop nicht umhin kommen. Fakt ist, daß der Ukraine in Kürze der Weizen fehlen wird, um mit attraktiven Preisen am Weltmarkt präsent zu sein.

    In Rußland ist die Getreideernte so gut wie abgeschlossen (98,3 %). Nachdem die Brot- und Futtergetreidepreise im Inland neue Höchststände erreicht hatten, soll mit dem seit dem 23. Oktober laufenden Verkauf von Getreide aus russischen Interventionsbeständen die Teuerung im Inland gedämpft werden - offenbar vergeblich.

    Nachdem sich die russischen Exportpreise zwischen Juni und September um rund 40 % verteuert hatten, kam russischer Weizen zuletzt bei einem Geschäft mit Ägypten mit umgerechnet 275 Euro/t zuzüglich 8,50 Euro/t Frachtkosten zum Zuge. Damit war russischer Weizen nur noch geringfügig teurer als andere Herkünfte.
    Wie lange Rußland am internationalen Exportmarkt noch eine Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten. Die russische Weizenernte soll nach neusten Schätzungen nur noch 37,5 Mio.t betragen. Die letzten offiziellen Schätzungen lagen immer noch bei 39-40 Mio.t.

    Kasachstan hat seine Export-Erwartungen ebenfalls nach unten korrigiert, da die wochenlange Dürre zu hohen Ernteverlusten geführt hat. Mit 12 Mio.t liegt die Getreideernte nach Mitteilung des Landwirtschaftsministeriums rund 55 % unter der Produktion des Vorjahres (26,9 %). Auch in Kasachstan sind die Weizenpreise im Inland explodiert. Allein seit Juli sind die Weizenpreise um 80 % auf umgerechnet 216 Euro/t in die Höhe geschnellt.

     Hausse-Tendenz

 

Prognose
Die fundamentalen Daten signalisieren nicht nur eine äußerst enge Versorgungsbilanz, sondern auch weitere Produktionsrisiken - nicht nur für die Südhalbkugel, sondern inzwischen auch für die Ernte 2013 auf der Nordhalbkugel.

Die fundamentalen Daten befeuern bei den Investoren an den Agrarrohstoffbörsen die Rendite-Erwartungen und eröffnen an den Kassamärkten nach meiner persönlichen Einschätzung erneut einen begrenzten Preisspielraum nach oben. Wie groß dieser Spielraum ausfallen wird, hängt auch von der länger werdenden Liste an Unsicherheitsfaktoren ab:
• Anbaubedingungen in den USA,
• Exportpreise und Exportpotential Rußlands und der Ukraine,
• Ernteerwartungen in Australien und Südamerika,
• Auswirkung der Konjunkturentwicklung auf den globalen Importbedarf wichtiger Einfuhrländer,
• Importbedarf der VR China (Futterkomponenten ...),
• Winterwitterung auf der Nordhalbkugel zur Ernte 2013.

Doch festzustellen bleibt auch: Trotz größer werdender "Knappheit" besteht am Weizenmarkt kein "Mangel", sondern lediglich ein Verteilungsproblem. Sollte sich also auch das Angebot an neuen „schlechten“ Nachrichten verknappen, würde infolge dessen die Korrektur-Anfälligkeit bei den Preisen wachsen.

Fazit: Nicht nur der Verkauf der Ernte 2012, sondern auch die Vermarktung der kommenden Ernten - 2013 und 2014 - wird immer interessanter. Das vergleichsweise hohe Preisniveau bietet unter kaufmännischen Gesichtspunkten gute Rendite-Chancen vom Acker.

 
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